Schwergewitterlage in Teilen Deutschlands (30.05. bis 01.06.2008)

Wir möchten hier an dieser Stelle auf eine Schwergewitterlage eingehen, welche Ende Mai an einigen Orten Deutschlands zu schwersten Unwettern führte. Stellenweise ist es zu heftigen Regenfällen mit Niederschlagsintensitäten von nicht selten 20 bis 40 Litern pro Quadratmeter binnen 30 bis 60 Minuten gekommen. Es liegt in der Natur der Sache, dass sich heftige Sommergewitter auf sehr engbegrenztem Terrain austoben. Auch wenn das MeteoGroup-Wetterstationsnetz schon außerordentlich dicht ist, können extreme Ereignisse manchmal nicht durch Regenmessstationen erfasst werden.

Daher hat MeteoGroup Niederschlagssummenkarten auf Radar- und Messwertebasis entwickelt. Neben den Messwerten der Wetterstationen werden dort zusätzlich die Niederschlagssummen aus den Signalen der Radarabtastung mit innovativen Methoden errechnet und grafisch dargestellt. So konnten wir innerhalb einiger Gewitterzellen Niederschlagsmengen von 40 bis 80 Litern pro Quadratmeter ermitteln, punktuell ist es in Ausnahmefällen auch zu Starkregenereignissen von um oder gar deutlich über 100 Litern pro Quadratmeter binnen 1 bis 3 Stunden gekommen, wie das nachfolgende Beispiel (Abb. 1) zeigt.

24stündige Niederschlagssummenkarte Thüringen
Skala für 24stündige Niederschlagsmengen
Abb. 1: 24stündige Niederschlagssummenkarte (Kartenausschnitt Thüringen)

Nur selten wird eine Niederschlagsmessstation getroffen, mit deren Werten solche extreme Mengen in den Summenkarten belegt werden können. Doch wir hatten Glück: Unsere Messstation Rudolstadt in Thüringen wurde nahezu voll von einem schweren Unwetter getroffen. So wurden bis zu 82 Liter Niederschlag binnen einer Stunde gemessen und die höchste 10minütige Menge betrug bis zu 24,1 Litern pro Quadratmeter. Insgesamt summierten sich während des rund zweistündigen Unwetters rund 112 Liter pro Quadratmeter!

24stündige Niederschlagsmengen Thüringen
Abb. 2: 24stündige Niederschlagsmengen vom 31.05. 8 Uhr bis 01.06. 8 Uhr MESZ

Andern Ortes ist es neben heftigen Regenfällen zu schweren Sturmböen um 100 Kilometer pro Stunde gekommen und punktuell ist katastrophaler Hagelschlag aufgetreten. Besonders betroffen war z.B. die Stadt Krefeld in Nordrhein-Westfalen. Hier hat es Hagelschlossen von 4 bis 6 Zentimetern Durchmesser gegeben. Strichweise zogen sich massive Hagelschäden durch die Stadt: Gewächshäuser wurden vollständig zertrümmert, zahlreiche PKW erlitten große Dellen und zerstörte Fensterscheiben, Hausdächer wurden stark in Mitleidenschaft gezogen. Sogar Rollläden wurden in Einzelfällen durch den Hagel zerschlagen und es kam zu Hausbränden durch Blitzschlag. In einigen der Gewitterzellen entluden sich bis zu 2000 Blitze binnen 15 Minuten. In einem Zeitraum von sechs Stunden wurden im Südwesten und Westen Deutschlands Intensitäten von bis zu 68000 Blitzentladungen registriert. Zahlreiche Keller und Tiefgaragen wurden überschwemmt. Die Schäden belaufen sich auf mehrere Millionen Euro.

Wie ist es nun zu dieser Unwetterlage gekommen?

Die Zutaten für schwere Gewitter konnten nicht besser sein und sind nahezu lehrbuchhaft.

Labilität
Abb. 3: Äquivalentpotenzielle Temperatur im 850 hPa-Niveau (Werte etwa über 50°C = feuchtwarm, Werte etwa unter 45°C = trockenwarm) sowie Labilität der Luftmasse am 31.05.2008 um 8 Uhr MESZ

Es stand sehr warme, feuchte und somit sehr energiereiche Luft zur Verfügung. Warme Luft kann viel Feuchtigkeit speichern. Steigt diese Luft schnell in höhere und deutlich kältere Regionen auf, wachsen sehr schnell Quellwolken in die Höhe. Die verschiedenen Stadien bis zur ausgereiften Gewitterwolke (in der Meteorologie "Cumulonimbus" genannt) sind: Cumulus-humilis, -mediocris und -congestus.

Darüber hinaus entscheidet der vertikale Temperaturgradient zwischen tiefen und hohen Luftschichten darüber, wann bzw. wie stark Quellwolken in die Troposphäre hinaufsteigen. Auch die CAPE-Werte sind von großer Bedeutung bei der Berechnung und Erkennung möglicher Schwergewitterlagen. CAPE steht für "Convective Available Potential Energy". Sie ist ein direktes Maß für die zur Konvektion zur Verfügung stehenden potenziellen Energie. Aus ihr kann auch die maximal mögliche Aufwindgeschwindigkeit in einem Gewitter berechnet werden.

Ausführlichere Informationen über diese und andere Gewitterparameter können Sie auch unserem Lexikon entnehmen.

Lage der Konvergenz
Abb. 4: Strömung im 850 hPa-Niveau sowie Lage der Konvergenz am 31.05.2008 um 8 Uhr MESZ

Kommen wir zurück zur synoptischen Ausgangslage. Zwischen hohem Luftdruck über Skandinavien und tiefem Luftdruck über Frankreich und Süddeutschland herrschte eine so genannte Konvergenzzone vor. Dort strömen die Luftmassen, aus verschiedenen Richtungen kommend, aufeinander zu. Daher sind in den Wetterkarten Konvergenzlinien - hier in violetter Farbe - eingezeichnet. Immer dann ist für die Meteorologen größte Vorsicht geboten, denn nicht selten bilden sich in diesem Bereich bevorzugt in den Hochsommermonaten unwetterartige Schauer oder Gewitter, denn im Bereich der Konvergenz neigen die Luftmassen dazu, besonders intensiv und schnell in die höhere Troposphäre aufzusteigen.

So können sich dann nicht selten, Gewitterwolken oder ganze Gewittercluster extrem weit in den Himmel hinaufschrauben. So verwunderte es uns nicht, dass diese Gewitterwolken Höhen von 12 bis 14 Kilometern erreichten. In der oberen Schicht dieser Gewitterwolken war es bis zu -65°C kalt! In den sich rasant aufbauenden Gewittertürmen sind ausgezeichnete Voraussetzungen für die Bildung großer Hagelkörner (bzw. bei Großhagel "Hagelschlossen" genannt) gegeben. Die Dynamik der Gewitterentwicklung ist in der Satellitenanimation (Abb. 10) eindrucksvoll zu sehen.

Großhagel entsteht immer dann, wenn massive Gewitterwolken mit mächtigen Aufwinden von mehreren hundert Kilometern pro Stunde auftreten. Dann sind die Aufwinde so heftig, dass selbst walnussgroße Hagelkörner ständig wieder soweit in die eisigen Regionen des Gewitterturmes geführt werden, bis sie irgendwann so schwer sind, dass sie durch die Schwerkraft doch zu Boden stürzen. Drei bis fünf Zentimeter große Hagelsteine sind in sommerlichen Gewittern keine Seltenheit, in besonders heftigen Gewitterzellen können die Hagelsteine auch 10 bis 15 Zentimeter Durchmesser erlangen. Fallen diese auch noch im Zusammenhang mit schweren Sturmböen, werden solche Hagelkörner zu regelrechten Geschossen. Nachfolgend nun drei beispielhafte Bilder von Großhagel mit freundlicher Genehmigung von Mark Vornhusen und Markus Pfister.

großes Hagelkorn
Abb. 5: Dieses Foto entstand am 05.05.2008 bei einem schweren Gewitter in Kansas.

große Hagelkörner
Abb. 6: Auch diese Aufnahme entstand am 05.05.2008. Eine LED-Lampe durchleuchtet das Hagelgeschoss bis ins Innerste.

große Hagelkörner
Abb. 7: Dieses Bild wurde am 08.05.2008 während eines weiteren Schwergewitters im US-Bundesstaat Kansas aufgenommen. Hier bekommt man noch einmal eine Vorstellung davon, wie groß Hagelkörner beispielsweise werden können.

Windscherung zwischen 0 und 6 km Höhe
Abb. 8: Windscherung zwischen 0 und 6 km Höhe am 31.05.2008 um 8 Uhr MESZ. Dargestellt wird hier, wie stark der Wind zwischen 0 und 6 Kilometern mit der Höhe zunimmt.

Eine weitere wichtige Grundvoraussetzung für solche Gewittercluster war eine mäßig stark ausgeprägte Scherung der Winde in unterschiedlichen Höhenlagen. In der Karte (Abb. 8) ist die Windscherung in einem Bereich zwischen 0 und 6000 Metern angezeigt. Je stärker der Wind mit der Höhe zunimmt, desto stärker ist die Windscherung und desto heftigere bzw. langlebigere Gewittercluster können sich entwickeln. Diese Faustregel kennt auch Ausnahmen, aber in diesem Fall passte sie sehr gut.

Besonders der starke Höhenwind in den höheren Luftschichten begünstigte das Aufquellen mächtiger Cumulonimbus-Wolken, was Sie z.B. in den Satellitenbildern (Abb. 10 und 11) an den ausfransenden Cirrusschirmen am oberen Ende der Gewitterwolken deutlich erkennen können.

Modell-Simulation: Vorhersage Niederschlagsmengen
Abb. 9: Modellvorhersage für 6stündige Niederschlagsmengen am 31.05.2008 zwischen 11 und 17 Uhr MESZ

Kommen wir nun zum schwierigsten in der Meteorologie zu vorhersagenden Wetterelement, dem Niederschlag. Die dargebotenen Niederschlagssignale der verschiedenen Wettermodelle zeigten wohl grundsätzlich die Gebiete mit den zu erwartenden Niederschlägen an, doch erfahrungsgemäß sind die Wettermodelle besonders bei Gewitterlagen überfordert, verlässliche Aussagen über die möglichen Ausmaße des Niederschlags zu treffen. Spätestens hier sind dann die Erfahrungswerte der Meteorologen gefragt, denn bei den gegebenen Umständen war von heftigen Niederschlagsereignissen von punktuell deutlich über 50 Litern pro Quadratmeter auszugehen.

Nachfolgend zeigen wir Ihnen den Satellitenfilm aus dem sichtbaren Spektralbereich vom 30.05.2008, 04:30 Uhr bis 30.05.2008, 22:30 Uhr MESZ. Recht anschaulich sieht man die explosive Entwicklung der großflächigen Gewittercluster - in der Meteorologie "mesoscale convective systems (MCS)" genannt. Diese Gewittertürme reichten in diesem Fall bis in etwa 14 Kilometer Höhe hinauf.

Satellitenfilm
Abb. 10: Satellitenfilm vom 30.05.2008, 04:30 Uhr bis 31.05.2008, 22:30 Uhr MESZ

Dass die Gewittertürme bis in 14 Kilometern Höhe hinaufragten ist zum Beispiel mit ein Grund, weshalb sich der Himmel soweit verdunkelte, dass sich die Straßenbeleuchtungen in Düsseldorf, Mönchengladbach und Umgebung am helllichten Tage einschalteten und es fast so dunkel wurde, wie in einer Vollmondnacht. Die Sonnenstrahlen konnten sich durch die massive Abschirmung dieser mit Starkregen und Hagel angefüllten Wolken nicht mehr bis zum Erdboden hin durchsetzen. Stellenweise schimmerten die Wolken schwefelgelb bis grünlich. Oftmals ist dies ein Zeichen für schweren Hagel und extreme Niederschläge innerhalb dieser Gewittertürme.

Satellitenbild-Analyse
Abb. 11: Satellitenbild-Analyse

Zum Schluss möchten wir einmal die synoptische Situation mit dem Satellitenbild vom späten Nachmittag des 31.05.2008 überlagern und Ihnen noch einmal veranschaulichen, was passierte: Eine stationäre Luftmassengrenze erstreckte sich etwa von der Nordsee bis in die Slowakei. Sie teilte trockene und zum Teil sehr warme Luft kontinentalen Ursprungs auf ihrer Vorderseite von feuchter und sehr warmer Luft auf ihrer Rückseite. Im Grenzbereich der Luftmassen konnten sich die heftigen Gewitter entwickeln. Außerdem ist im Südwesten Deutschlands noch die eingangs angesprochene Konvergenz (Abb. 4) zu erkennen. Auch in ihrem Bereich, in dem z.B. unterschiedliche Windrichtungen aufeinander trafen, wie Sie an Hand der Pfeile erkennen können, haben sich schwere Gewitter ereignet.

Tornado bei Augustusburg
Am Rande eines heftigen Gewitters entstand im Bereich Augustusburg in Sachsen, östlich von Chemnitz außerdem ein Tornado. Dieser richtete erhebliche Schäden an. Erfahren Sie mehr darüber sowie Allgemeines über Tornados und deren Vorhersagbarkeit.


Schweres Unwetter in Dortmund
Ende des Monats Juli traf trockenheiße Luft aus Ost bis Südost mit warmer und sehr feuchter Luft aus Südwest bis West über Nordrhein-Westfalen zusammen. In dieser sogenannten Konvergenzzone entwickelten sich heftige Gewitter und Regenfälle. Die Ruhrgebietsstadt Dortmund ist besonders schwer getroffen worden. Hier kam es zu Extremniederschlägen und massiven Schäden.


Vorhersagbarkeit von Gewittern
In einer weiteren Zusammenstellung können Sie nachlesen, wie die Meteorologen von MeteoGroup Gewitter vorhersagen, wie sich Gewitter verhalten und worauf Sie achten müssen, wenn Sie in ein Gewitter geraten.


Diese Analyse wurde von Andreas Wagner und Stefan Laps, Meteorologen der Unwetterzentrale Deutschland, im Juni 2008 erstellt.

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