„Nachmittags örtlich Schauer oder Gewitter“

Wenn es in unseren Wetterberichten lautet: „Von morgens bis mittags ist es meist heiter, nachmittags wird es wolkig und bis in die Abendstunden hinein ist dann örtlich mit kräftigen Schauern und Gewittern zu rechnen,“ dann kann man über diese Formulierungen schon einige kritische Gedanken haben.

Wie Sie in unserem letzten Bericht über eine Schwergewitterlage entnehmen können, ist es nicht so ganz einfach Gewitter vorherzusagen. Da müssen wir Meteorologen beim morgendlichen Wetterbericht schon mal ein klein wenig „um den heißen Brei“ herumreden. Denn es ist uns wohl klar, dass alle Anzeichen in der Wetterküche ein Potenzial für Starkregenschauer und Gewitter aufweisen. An einigen Indizes können wir auch abschätzen, dass es schwere Gewitter mit Hagel geben kann. Wir können auch einschätzen, ob sie eher langsamer oder schneller über die Lande hinwegziehen werden, denn dies entscheidet ja zum Beispiel oftmals darüber, ob es lediglich ein kurzer Sommerguss oder aber ein ortsfestes Unwetter mit hohen Niederschlagsraten geben kann. Morgens schon vorhersagen, wo denn genau und zu welcher Uhrzeit am Nachmittag und Abend der Himmel seine Schleusen öffnen wird, das ist bei Schauern und Gewittern unmöglich.

Es liegt in der Natur der Sache, dass der Vorhersage von Schauern und Gewittern Grenzen gesetzt sind. Sind Gewitter erst einmal entstanden, können wir mittels ausgefeilter Technik ihre weitere Entwicklung und Zugrichtung schon gut vorhersagen. Denn dann stehen der Entstehungsort, die Zugrichtung und die Zuggeschwindigkeit im Großen und Ganzen schon einmal fest. Aber selbst dann „springen“ Gewitterzellen gerne hin und her, lösen sich unvermittelt wieder auf, um dann an anderer Stelle plötzlich, ja nahezu explosionsartig, neu zu entstehen. Deshalb ist es sehr wichtig, in den Unwetterzentralen der MeteoGroup ständig „am Ball“ zu bleiben.

Die folgenden Niederschlagsradarbilder sowie die Animation (Abb. 2) zeigen eine Gewitterphase vom Samstag den 07.06.2008. Daran möchten wir Ihnen einmal aufzeigen, wie schnelllebig solche unwetterartigen Gewitter über die Lande ziehen, wie unvermittelt sie ihren Kurs wechseln können und sich ihre Intensität schlagartig verändern kann.

Niederschlagsradarbild Nordrhein-Westfalen
Skala für die Niederschlagsintensität
Abb. 1: Niederschlagsradarbild Nordrhein-Westfalen vom 07.06.2008, 21 Uhr MESZ

Zunächst eine kurze Erläuterung zu dem Radarbild von Samstagabend, 07.06.08: Es zeigt ein schweres Gewitter genau über Münster. In einigen Stadtteilen ist es zu Überschwemmungen durch extrem starken Regen gekommen. Unsere Wetterstationen in Münster und Havixbeck-Tilbeck registrierten binnen 20 Minuten 16 bzw. 15 Liter pro Quadratmeter. Wie unsere Radaranalyse ergeben hat, sind punktuell 20 bis 30 Liter Regen und Hagel aufgetreten. Solche Intensitäten überfordern zumeist die Kanalisation und es kommt zu Überschwemmungen von Straßenzügen, Unterführungen, Tiefgaragen und Kellern.

Auch in Hamm und Dortmund kam es zu unwetterartigen Gewittern, punktuell sogar mit Hagel. Große Teile der oberen Gewitterwolke werden durch den Höhenwind (in diesem Falle aus Nordwesten) verweht. Wie eine Rauchfahne zeigt sich der Amboss sogar im Radarbild und die Zelle über Münster schickte eine solche bis an den Rand zu Hessen. Dort sind die Regentropfen aus dem oberen Stockwerk der Wolke auf dem Weg zur Erde verdunstet, doch je näher man sich dem Zellkern Münster nähert, desto stärker werden die Niederschlagssignale und spätestens ab der dunkelblauen Radarstufe erreicht der Regen dann auch den Boden.

Auf dem nun folgenden Radarfilm ist die rasche und sehr dynamische Entwicklung über Nordrhein-Westfalen sehr gut zu verfolgen. Hinweis: Die Uhrzeiten oben links im Bild sind in UTC (United Time Coordinated) angegeben. Für die Lokalzeit, MESZ (Mitteleuropäische Sommerzeit), sind 2 Stunden hinzu zu rechnen.

Niederschlagsradaranimation
Skala für die Niederschlagsintensität
Abb. 2: Niederschlagsradaranimation Nordrhein-Westfalen vom 07.06.2008

Der Radarfilm zeigt, wie schnell es bei Gewittern gehen kann. In der Nacht zum 07.06.08 sind nur noch Schauer- und Gewitterreste des vorherigen Tages zu erkennen. Tagszeitlich bedingt entwickeln sich dann durch Sonneneinstrahlung und zunehmende Erwärmung rasch zahlreiche Schauer, deren Intensität plötzlich heftig wird und sogar Hagelsignale zeigt.

So entstanden gegen 11:30 Uhr Lokalzeit über Hessen erste Starkregenschauer und Gewitter, über Nordrhein-Westfalen brodelte es dann ab den Mittagsstunden. Während um 13 Uhr noch keine warnrelevanten Niederschlagssignale auf dem Radarbild zu sehen sind, geht dann ab 13:15 Uhr alles rasend schnell: Erste heftige Schauer und Gewitter entstehen im Hochsauerlandkreis und im Siegerland. Bereits um 13:30 sind dann zwischen dem Hochsauerland und Siegerland mindestens 4 Schwergewitterzellen auszumachen. Sie verlagern sich in der vorherrschenden schwachen Höhenströmung kaum und können somit große Wassermassen an Ort und Stelle fallen lassen.
 
Gegen 17:30 Uhr entwickelt sich östlich des Kreises Hamm ein heftiges Gewitter und springt (im Gegensatz zu den Zellen im Sauer- und Siegerland) schnell in Richtung West-Südwest bis nach Dortmund über, um dort für längere Zeit zu verharren. Während sich diese Gewitter gegen 20 Uhr nahezu auflösen, entwickeln sich zur selben Zeit heftige Gewitter südöstlich von Münster. Rasch ziehen diese Zellen mit West-Nordwestkurs unter Intensivierung auf Münster zu, erreichen über dem Westteil des Kreises gegen 21:30 Uhr den Höhepunkt ihrer Entwicklung und lösen sich bis 23 Uhr auf dem Weg nach Westen schnell wieder auf. Schon gegen Mitternacht deutet nichts mehr auf dem Radar auf die unwetterartigen Gewitter hin, die sich kurz zuvor ausgetobt haben.

Sie sehen auf diesem Film nur die Intensität der Niederschläge, Wolken werden hier nicht dargestellt. In jeweils 15minütigen Schritten wird die Entwicklung angezeigt.

Gewitterwolke (Cumulonimbus)
Abb. 3: Aufnahme einer Gewitterwolke aus einem Flugzeug heraus

Diese Aufnahme von MeteoGroup-Meteorologe Andreas Wagner wurde aus einem Flugzeug aufgenommen. Sie zeigt eine klassische Gewitterwolke mit Ambossform. In der Meteorologie werden diese Wolken "Cumulonimbus capillatus incus" genannt. An diesem Tage wurden am Erdboden über Sizilien 30°C gemessen, ganz oben in der Wolke herrschten dagegen -50°C! Die Mächtigkeit der aufsteigenden Luftmassen erzeugte sogar einen Cirruskranz im oberen Bereich der Troposphäre. Die Luftmassen wurden über der Gewitterwolke  fortgedrückt und dies erzeugte diesen Cirruskranz.

Die Ambosshöhe markiert die Obergrenze der Wetter- oder Troposphäre, die so genannte Tropopause. Sie kann in unseren Breiten bei schweren Gewittern bis zu 15 km hoch liegen. Darüber, in der Stratosphäre, steigt die Temperatur mit zunehmender Höhe wieder an und der Auftrieb innerhalb der Gewitter hört auf. Die emporstrudelnde Luft kann sich nur noch seitlich ausbreiten und wird vom Höhenwind weggeweht, was zu dieser Ambossform führt.

Durch ihre mächtige horizontale Ausdehnung sind solche Gewitterwolken auf freier Strecke oftmals selbst noch in 50 bis 150 Kilometern Entfernung zum Beobachter hin auszumachen. Abends und nachts ergibt sich dann das sogenannte Wetterleuchten – das sind dann die Blitze der Gewitter in der Ferne. Während der Donner dann nicht mehr hörbar ist, flackern die Blitze weithin sichtbar durch die Nacht.

Zwei klassische Gewitter-Irrtümer

An dieser Stelle sei noch darauf hingewiesen: Schauer oder Gewitterwolken machen nicht vor Seen, Bächen oder Flüssen halt. Auch Überlandleitungen üben keinen Einfluss auf die Stärke und Zugrichtung eines Gewitters aus. Gewitterwolken ziehen in etwa mit einer Untergrenze der Wolkenbasis von 1500 bis 2000 Metern über das Land hinweg und können im Sommer oft über 14 Kilometer hoch in den Himmel ragen. Da ist es nur logisch, dass ein Fluss oder See auf die weit darüber hinweg ziehenden Gewitterwolken keinen Einfluss ausüben kann.
 
Oftmals wird uns berichtet, „ein Gewitter kam wieder zu uns zurück“. Auch dies geht nicht. Denn Gewitter ziehen in einer vorgegebenen Strömung daher oder orientieren sich an orographischen Gegebenheiten. Wenn mehrere Gewitter an einem Tag an einem Ort stattfinden, so sind es meist Neubildungen.

Entfernung eines Gewitters berechnen

Wie weit ein Gewitter vom Betrachter entfernt ist, lässt sich leicht errechnen. Die Schallgeschwindigkeit beträgt bei etwa 20°C ziemlich genau 343 Meter pro Sekunde. Blitzt es und man zählt beispielsweise 10 Sekunden bis der Donner hörbar wird, so ist die Blitzentladung also etwa 3,4 Kilometer entfernt. Es gilt die Faustregel: Anzahl der Sekunden nach einer Blitzentladung bis zum Donner geteilt durch 3 ergibt die Entfernung zum Gewitter in Kilometern.

Die wichtigsten Verhaltensregeln bei Gewitter

  • Nicht unter Bäumen Schutz suchen. Dabei spielt die Art des Baumes keine Rolle: Ob Buche oder Pappel, dem Blitz ist es egal, worin er sich entlädt!
  • Bei Aufzug eines Gewitters sind Gewässer zu meiden. Schwimmer sollten sofort das Wasser verlassen.
  • In freiem Gelände möglichst eine Senke suchen, in die Hocke gehen, Füße eng beieinander stellen, keinen Schirm festhalten.
  • Gefährliche Orte im Freien sind einzelne Bäume oder Baumgruppen, Hügel, Aussichtstürme, Metallzäune und Masten.
  • Am sichersten ist man in Gebäuden mit Blitzschutzanlagen bzw. im Auto (Faradayscher Käfig, nach Michael Faraday)
  • Im Haus bei möglichst allen elektrischen Geräten den Stecker ziehen.
  • Auch das Duschen oder Baden ist zu vermeiden.


Dieser Bericht wurde von Andreas Wagner, Meteorologe der Unwetterzentrale Deutschland, im Juni 2008 erstellt.

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