Schwere Gewitterfront in NRW am 09.06.2014
Das Pfingstwochenende brachte in weiten Teilen Deutschlands Rekordtemperaturen, wie sie an den Feiertagen seit Jahrzehnten nicht gemessen wurden. Allerdings brauten sich vor allem am Montagabend teils heftige Gewitter zusammen. Eine Gewitterfront überquerte mit Orkanböen, extremem Starkregen und Zehntausenden Blitzen große Teile Nordrhein-Westfalens. Dabei kamen mindestens sechs Menschen ums Leben, es gab Dutzende Verletzte und gewaltige Schäden. Es handelte sich um eines der schwersten Unwetter in NRW in den vergangenen Jahrzehnten.
Wetterlage
Abb. 1: Isobarenkarte von Montagmittag, 09.06.2014
An den Pfingstfeiertagen stellte sich zwischen Hoch WOLFGANG über dem östlichen Mitteleuropa und dem kräftigen Tief ELA über dem Ostatlantik eine südliche Strömung ein, mit der heiße Mittelmeerluft nach Deutschland strömte. Das Tief selbst zog zu den Britischen Inseln und schwächte sich dabei ab. Die zugehörige Kaltfront näherte sich am 09.06.2014 dem Westen Deutschlands. Innerhalb der subtropischen und sehr feuchten Warmluft nahm an dem Tag die Gewitterneigung in Mitteleuropa zu.
Rekordhitze
Abb. 2: Auswahl Höchsttemperaturen von Pfingstmontag, 09.06.2014
An zahlreichen Wetterstationen wurden neue Rekordwerte für die ersten zehn Junitage aufgestellt. Am Pfingstmontag stiegen die Temperaturen in vielen Orten in Baden-Württemberg auf Höchstwerte um 37 Grad, Spitzenreiter war Ihringen mit 38,2 Grad. In Nordrhein-Westfalen wurden in sehr feuchter und damit schwüler Luft verbreitet 29 bis 33 Grad gemessen. In den Medien wurde das heißeste Pfingstwochenende seit Jahrzehnten berichtet.
Entwicklung der Gewitterfront
Abb. 3: Niederschlagsradarbild vom 09.06.2014, 19 Uhr MESZ
Bereits am frühen Montagnachmittag bildeten sich über Nordfrankreich verbreitet Schauer und Gewitter, die sich rasch in Richtung Nordosten verlagerten. Am frühen Abend schlossen sich die Gewitter über Belgien zu einem konvektiven System zusammen. Das Radarbild zeigte um 19 Uhr am Vorderrand des Gewitterkomplexes über dem Osten Belgiens eine ausgeprägte Gewitterlinie, die kurz vor 20 Uhr den äußersten Westen NRWs erfasste. Zu dieser Zeit überdeckte der Eisschirm der Gewitter mit dichten Schleierwolken schon weite Landesteile. Am Vorderrand der Gewitter bildete sich eine ausgeprägte Böenfront, an der zwischen 19:50 und 20:00 Uhr in der Eifel erste schwere Sturmböen und wenige Minuten später orkanartige Böen auftraten. Das gesamte System verlagerte sich rasch weiter nach Osten bis Nordosten.
Bow-Echo
Abb. 4: Niederschlagsradarbild vom 09.06.2014, 22 Uhr MESZ
Mit der Ostverlagerung entstand am Vorderrand des Gewitterkomplexes ein so genanntes Bow-Echo. Das ist ein bogenförmiges Niederschlagsgebiet, das bei sehr starken Gewitterfallböen entstehen kann. In seinem Bereich breitet sich die mit dem starken Niederschlag herabstürzende Luft sehr rasch aus, während sie an den beiden Rändern nicht ganz so schnell nach vorn schießt, daher das bogenförmige Echo. Mit dem Durchzug des Bow-Echos und direkt dahinter gab es die höchsten Windgeschwindigkeiten. Bis 21 Uhr MESZ erfasste es Düsseldorf und den Kreis Mettmann, bis etwa 21:30 Uhr auch Bochum. Gegen 22 Uhr erreichte die vorstoßende Kaltluft bereits Ahlen in Westfalen und gegen 23 Uhr in abgeschwächter Form auch Ostwestfalen.
Blitze
Abb. 5: 6stündige Blitze vom 09.06.2014, 18 Uhr bis 10.06.2014, 0 Uhr MESZ (lila = 18-19 Uhr, rosa = 19-20 Uhr, rot = 20-21 Uhr, orange = 21-22 Uhr, gelb = 22-23 Uhr, weiß 23-0 Uhr)
Innerhalb von sechs Stunden wurden mit Durchzug des Gewitterclusters über 100.000 Blitze registriert. Auch hieran wir ersichtlich, wie viel Energie in dieser schwülheißen Luftmasse freigesetzt wurde.
Messwerte
Die stärksten gemessenen Böen vom Montagabend: Düsseldorf-Flughafen 142 km/h Neuss 133 km/h Essen 126 km/h Castrop-Rauxel 124 km/h Düsseldorf Innenstadt 119 km/h Die angerichteten Schäden lassen lokal auf noch höhere Werte schließen. Dafür reicht selbst das sehr dichte Stationsnetz von MeteoGroup nicht aus. In eingelagerten Downbursts (Fallböen) dürften lokal auch Böen bis über 150 km/h aufgetreten sein.
Niederschlag
Abb. 6: 24stündige Niederschlagssummenkarte vom 10.06.2014, 8 Uhr MESZ mit den Mengen zwischen 09.06.2014, 8 Uhr und 10.06.2014, 8 Uhr MESZ
Der Durchzug der Gewitterfront war mit sehr starkem Regen verbunden. Verbreitet fielen innerhalb von nur einer Stunde mehr als 20 Liter Regen pro Quadratmeter, in Bochum-Weitmar kamen in einer Stunde sogar 41 Liter pro Quadratmeter zusammen.
Auswirkungen
Abb. 7: Schadenfoto aus Bochum von UWZ-Meteorologe Stefan Laps
Die größten Schäden gab es in einem breiten Streifen vom Rheinland bis ins Ruhrgebiet. Besonders betroffen waren die Städte Neuss, Düsseldorf, Mülheim, Essen und Bochum. Insgesamt wurden mindestens sechs Tote gemeldet - darunter drei Menschen in Düsseldorf, die in einer Gartenlaube Schutz gesucht hatten, die dann durch einen umstürzenden Baum zerstört wurde. Hier gab es noch zwei Schwer- und mehrere Leichtverletzte. Insgesamt wurden mindestens 67 Verletzte gemeldet.
Durch die extremen Gewitterböen stürzten in dem gesamten Bereich Zehntausende Bäume um und begruben Fahrzeuge und Gebäude unter sich. Auch außerhalb des am schlimmsten betroffenen Bereiches gab es erhebliche Schäden. Der Pfingstrückreiseverkehr brach komplett zusammen, sämtliche Autobahnen in NRW waren durch umgestürzte Bäume blockiert. Der Bahnverkehr wurde nahezu im gesamten Bundesland eingestellt. An Oberleitungen und Masten der Bahn entstanden so große Schäden, dass vor allem im Ruhrgebiet auf den Schienen tagelang nichts mehr ging. Auch viele Straßen konnten nur nach und nach frei geräumt werden. Die Rettungskräfte von Feuerwehren und THW sowie viele Freiwillige waren Tag und Nacht im Einsatz. Nach den vorliegenden Meldungen der Versicherer liegen die Schäden im dreistelligen Millionenbereich.
Warnungen
Abb. 8: Alle herausgegebenen bzw. gültigen Warnungen der Unwetterzentrale am 09.06.2014
Das Potenzial für schwere Gewitter war frühzeitig absehbar. Gegen 12 Uhr am Montag erfolgten seitens der Unwetterzentrale Vorwarnungen für das gesamte betroffene Gebiet vor heftigen und blitzintensiven Gewittern mit Starkregen, Hagel und schweren Sturmböen. Knapp eine Stunde vor Eintreffen der Front folgten Unwetterwarnungen, z.B. wurde um 20:05 Uhr eine Akutwarnung der Stufe ROT für die Stadt Düsseldorf ausgegeben, um 20:40 Uhr auch für die Stadt Bochum.
Die Warnstufe ROT vor Gewitter kann nach der Unwetterzentrale unter anderem folgende Auswirkungen haben (Auswahl Zitate):
Begriffsklärung, Gewitter, Superzelle, MCS, MCC
Die Bildung von Schauern und Gewittern setzt große Temperaturunterschiede zwischen der Luft am Boden und in größeren Höhen voraus. Ist die Luft am Boden zudem noch feucht genug, können sich in der aufsteigenden Luft Schauer- und Gewitterwolken bilden. In der Meteorologie spricht man auch von Schauer- oder Gewitterzellen. Eine wichtige Rolle spielt noch der Wind bzw. die Änderung des Windes mit zunehmender Höhe. Nimmt er stark zu und dreht sich mit der Höhe, dann spricht man von starker Windscherung. Diese starke Windscherung (also starker Höhenwind) bewirkt nun, dass die aufsteigende Luft in einem Gewitter nicht zusammen mit dem Niederschlag an derselben Stelle hinabfällt, der Aufwind zusammenbricht und sich so das Gewitter wieder auflöst. Hält sich nun ein kräftiges Gewitter über längere Zeit bei starker Scherung und gerät so in Rotation, dann nennt man es eine Superzelle.
Abb. 9: Satellitenbild mit Wolkenobergrenzentemperaturen am 09.06.2014 um 21 Uhr MESZ
Am Pfingstmontagabend schlossen sich über Belgien zahlreiche Gewitter – darunter auch Superzellen – zu einem großen Gewitterkomplex zusammen. Man spricht in diesem Fall von einem Mesoscale Convective System (MCS), einem großen Gewitterkomplex, der stundenlang über das Land zieht. Man kann sich einen solchen MCS wie ein kleines, aber intensives Tiefdruckgebiet vorstellen. Wenn der MCS eine bestimmte Größe erreicht und sich mindestens sechs Stunden hält, dann ist es sogar ein Mesoscale Convective Complex (MCC), wie er in unseren Breiten allerdings kaum vorkommt.
Fazit
Der Gewittersturm vom Pfingstmontag gehört zu den schlimmsten Unwettern in Nordrhein-Westfalen in den vergangenen Jahrzehnten. In einigen Städten wie Düsseldorf, Essen und Bochum gab es größere Schäden als beim Winterorkan KYRILL am 18.01.2007. Auch die Feuerwehren hatten in diesen Städten wesentlich mehr Einsätze als damals. Allerdings war KYRILL ein Wintertief, das großräumig in fast ganz Deutschland Schäden anrichtete. Ein sommerliches großräumiges Unwetter wie am Pfingstmontag ist dagegen sehr selten. Darüber hinaus bot sich diesem Sommersturm eine enorme Angriffsfläche durch die belaubten Bäume. Eine vergleichbare Gewitterfront mit Orkanböen überquerte am 10.07.2002 den Osten Deutschlands und richtete vor allem in Berlin schwere Schäden an.
Diese Zusammenstellung wurde von Thomas Sävert und Stefan Laps, Meteorologen der MeteoGroup Unwetterzentrale, im Juni 2014 erstellt.
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