Orkantief ORKUN - 17. bis 19.03.2007 (Tief Nr. 47)
Wetterlage
In der Nacht zum 17.3. war Tief ORKUN noch als harmlose Wellenstörung westlich von Island auszumachen. Zum Termin dieser Karte beeinflusst das Starkwindfeld des Sturmtiefs NILS (Tief Nr. 46) den Norden und Nordosten Deutschlands.
12 Stunden später hat sich ORKUN zu einem gut ausgeprägten Tiefdruckgebiet weiterentwickelt, da es polare Kaltluft auf seiner Rückseite anzapfen konnte und sich der Temperaturunterschied zur vorderseitig befindlichen milden Meeresluft vergrößerte. Die Kaltluftadvektion kann nicht von weiteren Zyklonen gestört werden, da das Azorenhoch seinen Keil bis zum Nordatlantik ausgeweitet hat und insofern jedweder Geneseversuch einer Zyklone im Raum Neufundland geblockt wurde.
Weitere 12 bis 18 Stunden später ist ORKUN zu einem ausgereiften Orkantief herangewachsen. Zum Termin dieser Karte wurde der niedrigste Kerndruck von 948 hPa sowie Orkanböen von bis zu 172 km/h auf den Färöer- und Shetland-Inseln gemessen. Mit reichlich polarer Kaltluft angefüllt, verlagert sich das Tief höhenströmungsparallel gen Ostsüdosten. ORKUNs Druckfeld beeinflusst nahezu den gesamten nordeuropäischen Raum. In Deutschland wurden bereits gebietsweise Sturmböen bis ins Flachland erreicht.
Am Abend des 18.3. lag das großräumige Sturmtief mit seinem Zentrum über Südskandinavien. Die Kaltluft erreicht Mitteleuropa. Im 500 hPa-Niveau wurden im Westen Deutschlands bis zu -38°C gemessen. Durch die damit einhergehende Labilität (großer Temperaturgegensatz zum Erdboden) kam es dabei lokal zu Gewittern mit Schneeregen, Schnee und Graupel. Im Druckfeld kann man sehr eindruckvoll erkennen, dass der Sturmwirbel über Nordeuropa die kälteste Luft angezapft hat, die zu dieser Jahreszeit möglich ist.
Bodendruck- und Windfeldanalyse (10 m Höhe)
Diese Animation des englischen UKMO NA-Modells zeigt das Bodendruckfeld sowie die mittleren Windgeschwindigkeiten in 10 Metern Höhe. Die Passage der Kaltfront ist durch einen markanten Isobarenknick gekennzeichnet. Am Mittag und Nachmittag des 18.3. nahm der Wind im Nordwesten und Westen Deutschlands in Trognähe des Tiefs noch einmal zu.
Ausführliche Analyse der Wetterlage
Zum Ende der ersten Märzdekade stellte sich in Mitteleuropa eine stabile Hochdruckwetterlage mit Zufuhr milder Luftmassen aus Südwesten ein. Am 13.3. wurde an der Messstation in Guben eine Tageshöchsttemperaturen von 20,9°C gemessen. Am 14.3. lag Mitteleuropa noch im Einflussbereich einer kräftigen Hochdruckbrücke die vom Ostatlantik bis nach Russland reichte. Jene wurde bis zum Folgetag jedoch durch zwei Faktoren gestört: Zum Einen tropfte ein Höhentrog über Russland gen Süden ab und zum Anderen gelangte der Störungsausläufer einer Islandzyklone mit Kaltluftadvektion nach Britannien, sodass sich der Schwerpunkt des Hochs hinaus auf den Atlantischen Ozean zurückzog. Bis zum Abend des 16.3. zog bereits der erste Sturmwirbel, NILS (Tief Nr. 46), von Island zur norwegischen Küste. Besonders in Norddeutschland machte sich das Tief mit stark auffrischendem Wind und einzelnen Sturmböen bemerkbar.
Tief ORKUN entstand bis zur Nacht auf den 16.3. östlich Neufundlands aus einer Wellenstörung an der Kaltfront des Sturmtiefs NILS heraus. Der Kern betrug etwa 1008 hPa. Bis zum 17.3. hatte sich ORKUN nur unwesentlich verstärkt und befand sich zum 1 Uhr MEZ-Termin mit 1003 hPa Zentraldruck ca. 700 Kilometer westlich Islands. Im Tagesverlauf dehnte das Atlantikhoch seinen Keil bis zum Nordatlantik aus und unterband dadurch das Heranreifen weiterer Tiefdruckgebiete im Raum Neufundland. An der Vorderseite des Hochkeils hatte Tief ORKUN dagegen nun ideale Genesebedingungen, denn es konnte sehr kalte Grönlandluft anzapfen, wodurch sich der Temperaturgradient zur vorderseitig befindlichen milden Atlantikluft maßgeblich vergrößerte. Bis zum Mittag wurde etwa 100 Kilometer südlich von Island ein Kerndruck von 980 hPa registriert.
Der skandinavische Höhentrog kam darüber hinaus bis ins östliche Mitteleuropa voran und somit kippte die Höhenströmung in Europa zunehmend auf eine nordwest-südost gerichtete Bahn. Bis zum Abend des 17.3. hatte sich ORKUN bereits zu einem kleinräumigen Orkanwirbel entwickelt und steuerte mit einem Kerndruck von 966 hPa auf die Färöer-Inseln zu. Die rasante Vertiefung der Zyklone spiegelte sich in den Druckfalltendenzen wider: In Fugloy im äußersten Nordosten der Färöer-Inseln wurde bis um 19 Uhr MEZ ein 3stündiger Druckfall von 14,7 hPa registriert. Drei Stunden später, bis zum 21 Uhr MEZ-Termin wurde in Akraberg, im Süden der Färöer-Inseln, eine Spitzenwindgeschwindigkeit von 144 km/h gemessen.
Bis zum 18.3. um 1 Uhr MEZ hat das Zentrum des Orkantiefs die Inseln überquert und lag mit 953 hPa Kerndruck wenige Kilometer südöstlich der Inselgruppe. Jene wurde in den Folgestunden vom stärksten Druckgradienten betroffen. In Mykines wurde eine Spitzenorkanbö von 172 km/h gemessen, die auch in North Rona (Orkney-Islands) registriert wurde. In Torshavn (zentrale Färöer-Inseln) wurde bis um 4 Uhr MEZ ein maximaler dreistündiger Druckanstieg von 13,7 hPa verzeichnet. Im Norden Großbritanniens und Irlands wurden orkanartige Böen oder auch Orkanböen vor allem an den Küsten gemessen.
Der Druckgradient nahm in der Nacht auf den 18.3. auch in Mitteleuropa im Warmsektor des Orkanwirbels deutlich zu und verbreitet wurden stürmische Böen und erste Sturmböen bis ins Flachland gemessen. Mit der Warmfront breitete sich Regen auf die gesamte Nord- und Westhälfte Deutschlands aus. Um 7 Uhr MEZ hatte der Kern des Orkantiefs seinen Entwicklungshöhepunkt mit einem Kerndruck von 948 hPa knapp östlich der Shetland-Islands erreicht. Die Kaltfront des Tiefs erreichte mit einem Band schauerartig verstärkten Regens den Nordwesten Deutschlands.
Im Laufe der Morgen- und Vormittagsstunden wurden dann verbreitet in Deutschland Sturmböen bis ins Flachland gemessen, an der Nordseeküste teils orkanartige Böen, im exponierten Bergland (z.B. Harz und Erzgebirge) auch Orkanböen. Die Kaltfront überquerte am Vormittag den Nordwesten Deutschlands. An ihrem Hinterrand hatte sich eine klare, schmale Linie mit konvektiv durchsetzten Strukturen ausgebildet. Es handelte sich hierbei um eine recht markante Kaltfront, wenngleich sie noch nicht mit allzu labil geschichteten Höhenkaltluftmassen angefüllt war. Auf ihrer Rückseite wurde ein erster Schwall deutlich kühlerer Luft herangeführt, welcher die milde Luft der vorangehenden Wetterperiode endgültig verdrängt. Der Kaltfrontdurchgang machte sich sogar recht markant bei den dreistündigen Drucktendenzen bemerkbar: So sank der Luftdruck präfrontal meist mit 2,0 bis 4,2 hPa, stieg aber direkt hinter der Kaltfront vorübergehend mit 0,8 hPa in 3 Stunden an, was auf einen möglichen Anstieg von 2 bis 3 hPa binnen weniger Minuten schließen lässt.
Am Mittag befand sich das Zentrum von Orkan URKUN mit 956 hPa Kerndruck knapp westlich der norwegischen Nordseeküste. Mit tageszeitlich bedingter Labilitätszunahme und der postfrontalen Kaltluftadvektion sowie einer neuerlichen Druckgradientverstärkung im Nordwesten (Trognähe) wurden an der Nordseeküste am Mittag und Nachmittag zum Teil Orkanböen bis Tempo 133 km/h wie z.B. in List/Sylt-Ellenbogen gemessen. Im Flachland wurden gebietsweise schwere Sturmböen von über 90 km/h registriert. Kanalisierungseffekte am Erzgebirge wirkten sich z.B. in Ehrenfriedersdorf noch begünstigend auf stärkere Böen von bis zu 104 km/h aus. Mit Durchzug eines Schauers wurde an der MeteoGroup-Messstation in Itzehoe eine orkanartige Bö von 115 km/h gemessen. Auch in Boltenhagen an der Ostseeküste wirkte sich der vertikale Impulstransport während eines Schauers mit bis zu Tempo 115 km/h aus.
In den Mittags- und Nachmittagsstunden des 18.3. passierte die Kaltfront die Mitte Deutschlands. Auf ihrer Rückseite machten sich zahlreiche Schauer im Westen und Nordwesten bemerkbar, die teils mit Graupel oder Schnee vermischt waren. Am späteren Nachmittag wurden dann auch teils kräftige Graupelschauer und lokale Gewitter beobachtet. Am Abend erreichte das Niederschlagsgebiet der Kaltfront dann allmählich die Alpen zunächst mit Regen und Schnee nur in den höheren Lagen oberhalb von etwa 2000 Metern. Der Kern ORKUNs ist auf der Wetterkarte des britischen Wetterdienstes um 19 Uhr MEZ mit 954 hPa etwa 85 Kilometer südlich von Oslo verzeichnet. Hinter der Kaltfront ließ der Wind deutlich nach und so kam es im Laufe der Abendstunden vor allem in der Mitte des Landes zu einer raschen Wetterberuhigung.
Am späteren Abend entwickelten sich im Westen im Advektionsbereich der höhenkältesten Luft von bis zu -38°C in 500 hPa einzelne Gewitterstraßen. Private Wetterbeobachter sprachen zuweilen von ungewöhnlich grellen Blitzen und lautet Donnern; in Essen habe es dabei sogar 5 cm Neuschnee gegeben. Die Niederschläge im Alpenraum gingen zusehends in Schnee über. Der Wind ließ im Süden und fortwährend auch im Norden Deutschlands immer weiter nach. Im Alpenraum schneite es dagegen länger anhaltend und ergiebig.
Das Besondere an dieser Wetterlage und vor allem zu dieser Jahreszeit war, dass sich das Orkantief durch das blockierende kräftige Atlantikhoch als großräumiges und einziges Druckgebilde über Nordeuropa erstrecken und an seiner Rückseite labile Kaltluft polaren Ursprungs auf direktem Wege nach Mitteleuropa führen konnte. Die gleiche Wetterlage im Januar hätte zu massiven Schneefällen bis ins Flachland geführt.
Satellitenbilder
Dieses IR-Satellitenbild zeigt den Orkanwirbel ORKUN am 18.3. morgens um 7 Uhr MEZ zum Zeitpunkt seiner stärksten Entwicklung. Auffällig ist die klassische massive Kaltluftschauerbewölkung auf der Rückseite des Tiefs - die Advektion polarer Kaltluft. Die Kaltfront erreicht zu diesem Termin den äußersten Nordwesten Deutschlands.
Am Nachmittag des 18.3. um 17 Uhr MEZ liegt die Kaltfront quer über dem Süden und Osten Deutschlands, wie das VIS-Bild mit Zoom auf Mitteleuropa zeigt. Im Nordwesten macht sich markante Schauerbewölkung bemerkbar, die mit Höhenkaltluft bis -35 bis -37°C im 500 hPa in Zusammenhang steht.
Am späten Abend des 18.3. um 22 Uhr zeigt das Infrarot-Bild deutlich, dass ORKUN den gesamten nord- bis nordwesteuropäischen Raum mit polarer Kaltluft beeinflusst. Die Kaltfront führt im Alpenraum zu länger andauernden Schneefällen. Schauerstraßen ziehen außerdem von der Nordsee in den Nordwesten Deutschlands. Hier sowie im Westen unseres Landes treten zum Teil Gewitter auf.
Schneefallgrenze über dem Gelände
Diese Animation zeigt das Verhalten der Schneefallgrenze über Orographie vom 17. und 18.3. und veranschaulicht noch einmal die Kaltluftzufuhr aus Nordwesten.
Vorhersage
Die führenden nationalen und internationalen Vorhersagedienste hatten die Entwicklung eines markanten Sturmereignisses sowie die Entwicklung eines Kaltlufteinbruchs bereits fünf Tage im Voraus in ihren Simulationen angedeutet. 36 bis 28 Stunden im Voraus warnten die Meteorologen der Unwetterzentrale das Ereignis flächendeckend und treffgenau vor. 6 bis 12 Stunden vorher traten die Mets der UWZ Deutschland in die Akutwarnphase ein. Die registrierten Spitzenwindgeschwindigkeiten lagen verbreitet im Bereich dessen, wovor die Meteorologen gewarnt haben.
Spitzenböen (ab 104 km/h) - 17.3. 19 Uhr bis 19.3. 7 Uhr
Quellen der Daten: Messnetz MeteoGroup, DWD, Auswahl
- 141 km/h - Brocken
- 133 km/h - List/Sylt-Ellenbogen
- 126 km/h - Fichtelberg, List/Sylt
- 124 km/h - Borkum (MM), Pellworm
- 120 km/h - Helgoland-Oberland
- 119 km/h - Wendelstein, Amrum
- 115 km/h - Boltenhagen, Hiddensee-Dornbusch, Itzehoe (MM)
- 111 km/h - Feldberg/Schwarzwald, St.Peter-Ording, Zugspitze
- 109 km/h - Hohentwiel
- 107 km/h - Dahme/Ostsee, Helgoland-Südhafen, Hohenpeissenberg
- 104 km/h - Bargen, Ehrenfriedersdorf, Strucklahnungshörn
Diese Analyse wurde von Manfred Spatzierer und Stefan Laps, Meteorologen der Unwetterzentralen Deutschland und Österreich, im März 2007 erstellt.
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