Orkantief FRANZ - 11.,12.01.2007 (Tief Nr. 29)

Wetterlage
Bodendruckanalyse
Tief FRANZ entstand im Raum Neufundland und wanderte bis zum Morgen des 10.1. südlich an Grönland vorbei. Es zapfte hochreichend kalte Luft aus der Polarregion auf dessen Rückseite an, während vorderseitig milde Atlantikluft vorhanden war. Die alles in allem westliche Komponente in der Höhenströmung, die bereits in den vergangenen Wochen immer wieder Sturm- oder kleinräumige Orkantiefs in Richtung Mitteleuropa schickte, würde auch FRANZ in Mitteleuropa einen kräftigen Sturm bescheren.

Bodendruckanalyse
Bis zur Nacht auf den 11.1. wanderte das Tief unter massiver Verstärkung südlich an Island vorbei. Durch die oben angedeutete Temperaturamplitude zwischen kalt auf der Rückseite und sehr mild auf der Vorderseite, hatte sich FRANZ zu einem umfangreichen nordatlantischen Sturmkomplex formiert. Durch die starke Höhenströmung wurde es außerdem rasch gen Osten transportiert.

Bodendruckanalyse
Am Mittag des 11.1. befand sich das kräftige Tief FRANZ über dem Nordmeer und bildete westlich Islands ein Teiltief. Der Druckgradient über Mitteleuropa ist markant und führte zu diesem Termin bereits gebeietsweise in Westdeutschland zu teils schweren Sturmböen.

Bodendruckanalyse
Am Abend des 11.1. gelangte Deutschland zunehmend auf die Rückseite des Tiefs mit Zufuhr labiler Höhenkaltluft, Schauern, einzelnen Gewittern und örtlichen Orkanböen bei Passage der Kaltfront.

Bodendruckanalyse
In der Nacht zum 12.1. gelangte der Norden, später auch der Nordosten Deutschlands in den Trogbereich mit neuerlicher Druckgradientverstärkung und Orkanböen auf diversen Inseln und Küstenabschnitten von Nord- und Ostsee.

Ausführliche Analyse der Wetterlage

Das sich bereits seit einigen Wochen stetig fortsetzende zonale und zyklonal geprägte Strömungsmuster setzte sich auch in der zweiten Kalenderwoche des neuen Jahres stetig fort. Sturm- und Orkanwirbel zogen in rascher Folge sehr schnell vom Atlantik nördlich an den Britischen Inseln vorbei in Richtung Skandinavien und führten abwechselnd sehr milde Luft subtropischen Ursprungs bzw. kältere Luft polaren Ursprungs nach Mitteleuropa. Das neue Tiefdruckgebiet FRANZ entwickelte sich bereits am 8.1. über der Hudsonbai und zog am 9.1. ostwärts über Neufundland hinweg in Richtung Atlantik und verstärkte sich dabei. In der Nacht zum 10.1. betrug der Kerndruck des Tiefs über der Labradorsee bereits 961 hPa und somit konnte das Tief samt ausgeprägtem Druckgradienten bereits als gut entwickeltes Sturmtief eingestuft werden.

In den darauffolgenden 24 Stunden wanderte das Tief unter Verstärkung ins Seegebiet südlich Islands. Um 1 Uhr MEZ wurden im Zentrum des Sturmtiefs FRANZ 951 hPa gemessen. Das Tief wurde durch den sehr stark ausgeprägten Jetstream mit 140 bis 150 kn (259 bis 278 km/h) ostwärts über den Atlantischen Ozean transportiert. Auf der Vorderseite des Tiefs wurde subtropische Warmluft angezapft, die gen Norden nach Mitteleuropa geführt wurde. Auf der Rückseite konnte polare Kaltluft von Grönland und der Dänemarkstraße angezapft werden. In der Nacht zum 11.1. überquerten die Ausläufer des Orkantiefs die Britischen Inseln mit schauerartig verstärkten Regenfällen.

Die Spitzenwindgeschwindigkeiten auf den Shetland Inseln sowie auf Mainland lagen zwischen 133 und 165 km/h. Letztere wurden auf North Rona gemessen. Die rasche Verlagerung des Tiefs wurde auch in den Druckfalltendenzen sichtbar. In Großbritannien, Schottland sowie auf der Nordsee sank der Luftdruck um bis zu 14,0 hPa in 3 Stunden, während er in Mitteleuropa auf der Rückseite der abziehenden Kaltfront des Sturmtiefs DIETER in Richtung Osteuropa noch mit bis zu 6,9 hPa in selbigem Zeitraum anstieg. Dadurch konnte sich ein markanter Druckgradient einstellen.

In den Morgenstunden des 11.1. erreichte die Warmfront des Tiefs FRANZ Norddeutschland mit einem kompakten Gebiet leichten bis mäßigen Regens. Auf der Rückseite der Kaltfront wurden in Irland sowie in Großbritannien verbreitet schwere Sturmböen von 90 bis 100 km/h erreicht, durch orographische Effekte begünstigt teils auch orkanartige Böen von 104 km/h oder 122 km/h wie Oerlinghausen (Downslope vom Teutoburger Wald). An den Küsten registrierten einige Messstationen des britischen Wetterdienstes Orkanböen bis 133 km/h. Auf Mykines (Färöer-Inseln) lagen die Spitzenböen bei 144 km/h. An der deutschen Nordseeküste frischte der Wind dann auch wieder kräftig auf mit Orkanböen auf dem Oberland Helgolands. Bis zum Vormittag nahm der Wind in West- und Norddeutschland kontinuierlich zu. An der Nordseeküste sowie im Oberharz wurden häufig Orkanböen gemessen, im Flachland verbreitet Böen zwischen 76 und 87 km/h. Auf Pellworm lagen die Spitzenböen bei 141 km/h, auf dem Brocken im Harz wurden 159 km/h registriert. Im Flachland wurden verbreitet Sturmböen erreicht, in exponierten Lagen vereinzelt auch orkanartige Böen.

Die Ausläufer des Orkantiefs erfassten bis zum Mittag die gesamte Nordhälfte Deutschlands mit Regen, die besonders in Richtung Bergisches Land in Nordrhein-Westfalen mit Stundensummen um 6 l/m² kräftiger ausfiel. Die Besonderheit an diesem Tiefdruckgebiet war, dass es in Deutschland flächendeckend von Nord nach Süd bzw. von West nach Ost zu warnrelevanten Windböen führte. Zwischen 14 und 15 Uhr MEZ überquerte die Kaltfront des Tiefs die ostfriesischen Inseln. Die von diversen Modellen vorhergesagten massiven Scherungswerte der Windgeschwindigkeitsänderung mit der Höhe deuteten auf die Ausbildung einer schmalen Linie schauerartig verstärkten, teils auch gewittrig durchsetzten Regenfällen und der großen Gefahr orkanartiger Böen an. Die MeteoGroup-Wetterstation auf Borkum erreichte dabei in o.g. Zeitraum eine Spitzenwindgeschwindigkeit von sage und schreibe 178 km/h. Die UWZ-Meteorologen hielten zunächst den Durchzug einer Wasserhose für möglich und auch nach Besichtigung der örtlichen Sturmschäden konnte eine derartige Entwicklung nicht ausgeschlossen werden, wobei es keine Augenzeugen gegeben habe, die eine rüsselähnliche Formation hätten erkennen können. Die Analyse der 10 Minuten-Daten von der Station ergab einen eher "normalen" Frontdurchgang mit erheblicher konvektiver Umlagerung (Gewitter). Dafür spricht auch der homogene Verlauf des Mittelwindes zwischen 13 und 13:10 Uhr MEZ mit 108 km/h im Mittel. Der Luftdruck stieg hingegen mit 3,2 hPa in 10 Minuten an, wobei dies wiederum Größenordnungen sind, die man bei den außerordentlichen Schwankungen der Windgeschwindigkeit mit dem Bernoulli-Effekt* erklären kann.

Dennoch bei dieser Wetterlage konnten die Meteorologen das erhebliche Tornadopotential nicht ausschließen und so ergab auch die Analyse der Radialgeschwindigkeit im Bereich der Squall-Line verdächtige Signaturen. In Folge derer gaben die Meteorologen der UWZ Warnungen für Starkregenschauer und Gewitter der höchsten Warnstufe mit Tornadohinweis heraus, solange die verdächtige Signatur erhalten blieb, danach blieb es bei Gewitterwarnungen der Stufe ROT. Die Niederschlagsmengen lagen meist zwischen 5 und 7 l/m² in der Stunde, da die Linie rasch von Nord nach Süd durchzog. Weiter im Landesinneren wurden durch die Kaltfront keine vergleichbar hohen Windböen wie auf Borkum mehr erreicht. Die registrierten Spitzenwindgeschwindigkeiten lagen meist zwischen 85 und 104 km/h. Über der freien Nordsee machte sich bereits der Trogorkan bemerkbar, der auf den Färöer-Inseln neuerlich zu Böen von bis zu 157 km/h führte.

Am späten Nachmittag und zum Abend hin überquerte die Kaltfront dann auch den Westen und die Mitte Deutschlands und verlagerte sich weiter nach Süden. Verbreitet wurden schwere Sturmböen zwischen 90 und 100 km/h gemessen. Die im Nachhinein ziemlich verbreitet beobachteten Schäden lassen punktuell aber auch orkanartige Windböen um 110 km/h oder darüber zu: Es gab häufig entwurzelte Bäume, beschädigte Dächer und allerlei Schäden durch umherfliegende Gegenstände.

Am Abend des 11.1. trat im Süden Deutschlands wieder der klassische Kanalisierungseffekt auf der Vorderseite der Kaltfront zwischen Schwarzwald und Alpen auf: Der starke Westwind zwischen Kaltfront und orographischem Hindernis kann nirgendwohin entweichen, nur in die eine Richtung, nach Osten und führte auf dem Feldberg im Schwarzwald zu Orkanböen bis 144 km/h und auf der Zugspitze bis 152 km/h. Auf dem Wendelstein erreichten die Böen in der Nacht zum 12.1. sogar einen Höchstwert von 187 km/h! Auch am Alpenhauptkamm gab es verbreitet Orkanböen auf den Gipfeln. Der Feuerkogel in Österreich registrierte einen Spitzenwert von 161 km/h. Durch die weiterhin konvektiv durchsetzte Niederschlagsstruktur im Frontbereich wurden zuvor auch im Alpenvorland verbreitet schwere Sturmböen, teilweise auch orkanartige Böen bis 107 km/h erreicht. Vor allem in den Mittelgebirgen regnete es teils längere Zeit mit 6stündigen Summen von 10 bis 13 l/m². Auf dem Brocken im Harz gab es einen markanten Schneesturm.

Hinter der Kaltfront ließ der Wind zunächst gebietsweise nach und Sturmböen traten etwas seltener auf. Am Abend wirkte sich der rückseitige Trog des Orkantiefs FRANZ auf Norddeutschland mit Schauern und einer neuerlichen Verstärkung des Windes aus. Die mit ihm advehierte Kaltluft wirkte sich mit Werten bis -32°C im 500 hPa-Niveau aus und sollte die deutlich zu milde Luft in Mitteleuropa vorübergehend gegen kältere Luft ersetzen. Bis zur Nacht auf den 12.1. hin wurden an der Nordseeküste teils wieder Orkanböen, im norddeutschen Tiefland schwere Sturmböen, teils auch orkanartige Böen von 90 bis 107 km/h gemessen.

Die Kaltfront wirkte in der Nacht zum 12.1. weiterhin im Alpenraum teilweise sogar mit richtigen Fallböen (Downburts), die sich mit Orkanböen bis in Höhenlagen um 400 Meter bemerkbar machten. In den Hochlagen der Alpen kam es durch die teils kräftigen Niederschläge oberhalb von 1000 bis 1300 Metern mit sinkender Tendenz schneesturmähnliche Verhältnisse. Bis zum Morgen betrugen die Neuschneehöhen auf dem Brocken auf 1142 m 20 cm, auf der Rudolfshütte in Österreich auf 2304 m 23 cm und auf dem 3105 m hohen Sonnblick 15 cm.

Das Orkanfeld im Trogbereich beeinflusste schwerpunktmäßig Dänemark und die Ostsee. Bis zum Morgen erreichte die dänische Station Karup auf 52 Metern im Binnenland eine Orkanbö von 165 km/h und die exponierte Station Hiddensee-Dornbusch 154 km/h. Im unmittelbaren Binnenland wurden zum Teil orkanartige Böen um 110 km/h gemessen. In Ostdeutschland lagen die höchsten Windgeschwindigkeiten im Flachland meist bei 80 bis 87 km/h.

Am Vormittag beruhigte sich das Wetter mit Abzug des Orkantiefs von Westen her rasch, doch machte sich im Tagesverlauf bereits die nächste Warmfront des Sturmtiefs GERHARD aus.

Infrarot-Satellitenbild

Infrarot-Satellitenbild
Orkantief FRANZ lag mit seinem Zentrum am 11.1. um 16 Uhr MEZ bei den Färöer-Inseln. Seine Ausläufer beeinflussen das Wetter von Skandinavien über die Ostsee bis nach Mittel- und Westeuropa.

Vorhersage
Die rasche Entwicklung und Verlagerung des Orkantiefs binnen 24 Stunden hatten prinzipiell alle führenden nationalen und internationalen Prognosemodelle korrekt und frühzeitig erfasst. Durch das vorauslaufende Sturmsystem DIETER hatten die Meteorologen der UWZ bereits Vor- und Akutwarnungen für das entsprechende Sturmfeld ausgegeben und warnten ab den Nachmittagsstunden des 10.1. von Nordwesten her flächendeckend rot vor orkanartigen Böen um 110 km/h vor allem mit Passage der Kaltfront des Orkantiefs FRANZ am 11.1.. Die übrigen Gebiete bekamen im Laufe der Abend- und Nachtstunden des 10. auf den 11.1. Akutwarnungen der Stufe orange mit Option auf eine zeitnahe Anhebung der Warnstufe auf ROT. Die Labilitätsparameter Lifted Index und KLA in 500 sowie in 850 hPa waren gut ausgeprägt. Die Windgeschwindigkeit sollte verbreitet mit über 30 kn (über 56 km/h) vom Boden bis in 2 km Höhe zunehmen, d.h. es bestand im frontalen Bereich sowie in Schauer- und Gewitternähe hinterher im Trogbereich ein nicht zu vernachlässigendes Tornadopotential.

Die Meteorologen der UWZ wiesen bereits einige Tage vor Eintreffen des Ereignisses auf die Gefahr eines flächendeckend schweren Sturms in ihrem Lagebericht hin und warnten frühzeitig vor den Gefahren eines selbigen.

Warnkarte der Unwetterzentrale
Warnkarte der Unwetterzentrale
Diese Warnkarte der Unwetterzentrale zeigt eine Sammlung der höchsten Warnstufe pro Landkreis vom 11. und 12.1. zusammen. Die Violettwarnungen im Nordwesten Niedersachsens waren Gewitterwarnungen, die einen Tornadohinweis mit Durchgang der Kaltfront hatten, alle anderen Violett- und Rotwarnungen sind Sturmwarnungen.

Spitzenböen (ab 118 km/h) - 11.1. 18 Uhr bis 12.1. 15 Uhr

Quellen der Daten: Messnetze MeteoGroup, DWD

  • 187 km/h - CH: Konkordiahuette SAC
  • 185 km/h - Wendelstein
  • 178 km/h - Borkum (MM)
  • 172 km/h - Brocken
  • 161 km/h - A: Feuerkogel
  • 156 km/h - Wallberg
  • 154 km/h - Hiddensee-Dornbusch
  • 152 km/h - Zugspitze
  • 148 km/h - A: Leiser Berge
  • 144 km/h - Feldberg/Schwarzwald
  • 143 km/h - CH: Wasserauen (Al)
  • 141 km/h - Pellworm, Weinbiet; CH: Gornergrat, Gütsch/Andermatt
  • 137 km/h - Fichtelberg; CH: Titlis
  • 135 km/h - CH: Kleines Matterhorn
  • 133 km/h - Helgoland-Oberland, Hohenpeissenberg; CH: Weißfluhjoch
  • 131 km/h - List/Sylt-Ellenbogen, Nebelhorn
  • 130 km/h - Borkum (Amda), Hornisgrinde, List/Sylt; CH: Säntis
  • 128 km/h - Greifswalder Oie (MM), Hörnum/Sylt
  • 126 km/h - Belchen/Schwarzwald, Greifswalder Oie
  • 124 km/h - Großer Kornberg, Kabelsketal, Norden-Norddeich
  • 122 km/h - Baltrum, Kap Arkona/Rügen, Oerlinghausen, Warnemünde
  • 120 km/h - Juist-Flugplatz
  • 119 km/h - Amrum, Wernigerode; A: Wien-Groß Enzersdorf (Schauer)


Diese Analyse wurde von Manfred Spatzierer und Stefan Laps, Meteorologen der Unwetterzentralen Deutschland und Österreich, im Januar 2007 erstellt.

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