Randtief RENATE - 03., 04.10.2006 (Tief Nr. 2)
Wetterlage
Die Bodenanalyse vom 3.10. abends um 20 Uhr MESZ zeigt den stärksten Luftdruckgradienten im Raum Schweizer Jura und Südschwarzwald. Der Luftdruck lag hier bei rund 1002 hPa. Über Oberösterreich liegt das durch Alpenüberströmung hervorgerufene Föhntief mit einem Kerndruck von 997 hPa.
6 Stunden später stieg der Luftdruck im Südwesten Deutschlands um 10 hPa auf 1012 / 1013 hPa an.
Ausführliche Analyse der Wetterlage
An der von ex-HELENE (Tief Nr. 1) ausgehenden Frontalzone, die sich ab dem 2.10. über die Mitte Deutschlands und Frankreichs hinweg bis zur Biskaya erstreckte und gebietsweise zu Dauerregen führte, bildete sich am Morgen westlich Portugals eine Welle. Sie formierte sich bis zur Nacht auf den 3.10. zu einem kleinen, aber intensiven Randtief mit einem Kerndruck von 997 hPa und wanderte bis zu diesem Zeitpunkt über den Nordwesten Spaniens hinweg zur Biskaya. RENATE war geboren. Der Jet im 500 hPa-Niveau transportierte das Randtief mit Geschwindigkeiten von 50 bis 70 kn (93 bis 130 km/h) aus südwestlicher Richtung im Laufe des Tages sehr schnell über die Mitte Frankreichs hinweg, sodass das Tief am Abend mit seinem Kern bereits den Norden Baden-Württembergs erreichte. In der Nacht zum 4.10. überquerte das Tief den Norden Bayerns sowie Teile Sachsens und verließ Deutschland ostwärts in Richtung Tschechien.
Im Einzelnen: Die über Mitteleuropa lagernde alternde und quasi stationäre Frontalzone von Ex-HELENE führte, wie oben erwähnt, zu Dauerregen. Die Wellenbildung über der Biskaya (RENATE) und ihre rasche Verlagerung in Richtung Frankreich führten vorderseitig erneut zur Advektion subtropischer Warmluft. Daher konnte sich die Front über Deutschland reaktivieren, was mit einer Intensivierung und Fortdauer des Regens einherging. Warnrelevante Regenmengen von lokal über 50 l/m² binnen 24 Stunden waren die Folge. Eine Besonderheit war, dass das Tief vorderseitig starken Südföhn in den Alpen auslöste. Auf dem 2246 Meter hohen Patscherkofel bei Innsbruck wurde eine Spitzenorkanbö von 156 km/h gemessen, auf dem Jungfraujoch in der Schweiz auf 3580 Metern eine Bö von 157 km/h. Im Südosten Deutschlands wurden durch die trockenadiabatische Erwärmung (+1°C pro 100 m), die mit dem Föhn klassischer Weise in Zusammenhang steht, noch einmal Höchsttemperaturen von 23 bis 25°C erreicht; Spitzenreiter war die MeteoGroup-Wetterstation St. Bartholomä im Berchtesgadener Land mit 26,2°C. Im Dauerregen in der Mitte Deutschlands wurden lediglich rund 15°C gemessen.
Die Kaltfront RENATEs überquerte am frühen Abend rasch und ziemlich aggressiv den Süden Deutschlands und sorgte für den Zusammenbruch des Föhns mit schauerartig verstärktem und ergiebigem Regen. Präfrontal konnten sich noch einzelne Gewitter im Raum Bad-Tölz - München - Rosenheim bilden, die im weiteren Verlauf wenn auch in abgeschwächterer Form Oberösterreich erreichten. Mit Durchschwenken der Kaltfront ließ der Regen im Südwesten Deutschlands zunächst nach. Die sog. "Back-Bend Okklusion" des Randtiefs, die den markanten Tiefkern (hinter dem es auch zum eigentlichen Sturm kam) mit der Warmfront und der am Hinterrand des Föhntiefs verlaufenden Kaltfront verband, sorgte wenig später über Rheinland-Pfalz und dem Saarland neuerlich für ergiebigen und warnrelevanten Dauerregen mit Stundenraten von teilweise 10 bis 20 l/m².
Die nächste und wesentlich gefährlichere Besonderheit war, dass mit dem raschen Durchzug des Tiefs und dem signifikanten Luftdruckgradienten (vgl. Wetterkarte oben links) der Wind ein Thema wurde. Während der Frankreich-Passage konnten am Mittag und Nachmittag des 3.10. Druckanstiege von 10 bis 15 hPa binnen 3 Stunden sowie schwere Sturmböen im Flachland und teilweise Orkanböen im Bergland gemessen werden. Am Abend setzte sich dieser Trend dann auch für den äußersten Südwesten Deutschlands fort. Mit Druckanstiegen von bis zu 10 hPa in 3 Stunden war der Höhepunkt des Sturms im Raum Südschwarzwald - Rheinfall - Hegau erreicht. Zwischen Schwarzwald und Bodensee wurden die stärksten Windböen begünstigt durch Kanalisierungseffekte gemessen.
Im weiteren Verlauf der Nacht nahm der Druckgradient durch Nordostverlagerung des Tiefkerns sowie folglicher Distanzzunahme zu den Alpen ab (vgl. Wetterkarte links unten) und es folgten lediglich einzelne Sturmböen in der Mitte Bayerns. Nur auf den Alpengipfeln selbst gab es dann noch Orkanböen. Der kräftige Regen verlagerte sich mit der BB-Okklusion weiter nach Osten und von Westen her setzte zügig Wetterberuhigung ein. Die Frontpassage verlief auch in Ober- und Niederösterreich zunächst harmlos. Im Wiener Raum kam es jedoch durch Überströmungseffekte des Wienerwaldspornes zu einer lokalen Verstärkung des Druckgradienten und führte mit Durchzug des Tiefausläufers zu teils schweren Sturmböen. Dahinter wurde der Weg frei für die bereits im Nordwesten Deutschlands angelangte kühle Meeresluft, welche sich am 4.10. tagsüber dann auch im Südosten Deutschlands und weiter bis nach Oberösterreich durchsetzte.
Satellitenbild mit Wolkenobergrenzentemperaturen
Das Infrarot-Satellitenbild mit eingefärbten Wolkenobergrenzentemperaturen zeigt am 3.10. mittags um 14 Uhr MESZ das Randtief mit seinem Kern über Frankreich. Die Wolken sind hochreichend, wie die Wolkenobergrenzentemperaturen zeigen, was in diesem Fall auf ausgeprägte Niederschlagsgebiete hinweist.
VIS-Satellitenbild (sichtbarer Kanal)
Der sichtbare MSG-Kanal zeigt den Kern RENATEs am 3.10. abends um 18 Uhr MESZ über dem Nordosten Frankreichs. Bei genauerer Betrachtung erkennt man zwischen BB-Okklusion und Kaltfront das stärkste Windfeld mit Düseneffekt im Vorfeld der Schweizer Jura.
Die Niederschlagsgebiete von RENATE am 3.10. um 20 Uhr MESZ: Mit Durchzug der Kaltfront brach zu diesem Zeitpunkt der Föhn in den Bayerischen Alpen zusammen. Die Back-Bend Okklusion sorgt in Rheinland-Pfalz und im Saarland neuerlich für ergiebigen Dauerregen.
Niederschlagssummenkarte
Die 48stündige Niederschlagssummenkarte von MeteoGroup zeigt den Schwerpunkt der Niederschläge im Raum Kraichgau - Nordschwarzwald vom 2. bis zum 4.10..
Messwerte: Niederschlagsmengen
42stündiger Zeitraum vom 2.10. 14 Uhr bis zum 4.10. 8 Uhr
Quellen der Daten: Messnetz MeteoGroup, DWD, Auswahl
- 91,8 l/m² - Baden-Baden
- 82,9 l/m² - Mummelsee, Seelbach (Ortenaukreis)
- 76,8 l/m² - Karlsruhe, Wörth am Rhein
- 76,1 l/m² - Rheinau-Memprechtshofen
- 75,3 l/m² - Friedrichsthal
- 73,2 l/m² - Pforzheim
- 71,8 l/m² - Germersheim
- 70,0 l/m² - Lahr
- 69,9 l/m² - Speyer
- 69,8 l/m² - Kirkel (Saarland)
- 65,9 l/m² - Freudenstadt-Marktplatz
- 64,8 l/m² - Landau (Pfalz)
- 64,2 l/m² - Dillingen (Saar)
- 60,8 l/m² - Saarbrücken-Burbach
- 60,1 l/m² - Berus/Saarland
- 59,1 l/m² - Heidelberg-Uni
- 53,3 l/m² - Mannheim
- 52,1 l/m² - Freiburg
- 50,1 l/m² - Warth/Lech (in 8 Stunden)
Unwetterzentrale: Warnsituation am Nachmittag des 3.10.
Diese Karte zeigt die Warnsituation in Deutschland 3 bis 4 Stunden vor Einsetzen des Sturms. Zur Erläuterung der Farben: Die Orange-Warnungen, die von Rheinland-Pfalz über das Saarland, Südhessen, Thüringen, Teile Sachsens, Mittelfranken bis in die Oberpfalz hinein verlaufen, sind für Starkregen und stehen in Zusammenhang mit der stationären Luftmassengrenze (Messwerte und Warntexte s.u.). Der Schwerpunkt der Starkregenfälle vom Odenwald über das Kraichgau hinweg bis zum Nordschwarzwald ist hier mit rot gekennzeichnet. Die Rot-Warnungen vom Schwarzwald selbst über den Bodensee bis nach Garmisch-Partenkirchen sind akute Sturmwarnungen für die Hochlagen und bis zum Bodensee auch für die Niederungen. Die Vorwarnungen in Oberbayern sind sowohl Vorwarnungen für den bevorstehenden Sturm in der Nacht zum 4.10. als auch Vorwarnungen für ein mögliches Starkregenereignis mit Durchzug der zum Tief gehörigen Ausläufer.
Vorhersage
Dass ein Randtief auf Deutschland zuziehen soll, war den UWZ-Meteorologen bereits zwei bis drei Tage zuvor klar: Sowohl das britische UKMO als auch das amerikanische GFS aber auch andere führende Vorhersagemodelle hatten eine Randtiefentwicklung berechnet und wir konnten auf dieses mögliche bevorstehende Ereignis im Lagebericht hinweisen. Die Niederschlagsvorhersagen waren sowohl von GFS, aber insbesondere von UKMO Finemesh sehr gut und die Regionen, die am schlimmsten betroffen werden sollten, konnten explizit vorhergesagt / gewarnt werden und das Ereignis trat auch so ein (vgl. Niederschlagssummen weiter unten).
Die Vorhersage des Windereignisses war hingegen sehr schwer, weil die exakte Zugbahn von Modelllauf zu Modelllauf variierte und der Druckgradient bzw. der Grad der Kanalisierung zwischen den Alpen exponentiell von der Zugbahn des Tiefs abhängt. Die allgemeine Prognose war schon am Vortag klar, dass es im Südwesten stürmisch würde. Am Morgen des 3.10. sah es nach den Modellberechnungen zunächst sogar so aus, als solle kaum etwas passieren, bis der 6 UTC-Lauf des UKMO Finemesh vorlag: Dieser berechnete für den Abend im Südwesten Deutschlands plötzlich einen starken Druckgradienten samt markantem Orkanfeld im Raum Bodensee und die Gefahr eines möglichen schweren Sturms bzw. Orkans im Südwesten war gegeben. So konnten mit der Drucktendenz- und Böenentwicklung über Frankreich explizite Sturmwarnungen rund 3 bis 6 Stunden vor Ereignisbeginn erfolgen.
Spitzenböen (ab 104 km/h) - 3. und 4.10.
Quellen der Daten: Messnetze MeteoGroup, DWD, Auswahl
CH = Schweiz, A = Österreich
- 161 km/h - Feldberg/Schwarzwald
- 143 km/h - Belchen/Schwarzwald
- 137 km/h - Zugspitze
- 133 km/h - Wendelstein
- 131 km/h - Hohentwiel, Hornisgrinde, Jungfraujoch (CH)
- 124 km/h - Schauinsland
- 119 km/h - Krunkelbachhütte, Ebenalp (CH), Napf (CH)
- 117 km/h - Bühlerhöhe, Plaffeien (CH)
- 115 km/h - Säntis (CH), Feuerkogel (A)
- 111 km/h - Freiburg-Ebnet, Freudenstadt, Hohenpeißenberg
- 109 km/h - Gersbach/Schwarzwald, Pilatus (CH)
- 107 km/h - Klippeneck, Stötten
- 106 km/h - Küssaburg
Diese Analyse wurde von Manfred Spatzierer und Stefan Laps, Meteorologen der Unwetterzentralen Deutschland und Österreich, im Oktober 2006 erstellt.
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