Entwicklung des Alpenhochwassers (Zeitraum 10. bis 13.07.2005)
Wetterlage
Ein Tiefdruckgebiet ist von Deutschland in Richtung Balkan gezogen. Angefüllt mit Höhenkaltluft etablierte es sich zunächst über dem Alpenraum und wanderte nur langsam über Österreich hinweg südostwärts. Gleichzeitig gelangte jedoch an der Ostflanke eines Englandhochs sehr warme Luft von Nordosten nach Deutschland. Die daraus resultierende Luftmassengrenze (Okklusion) lag dann am 11.07. teils stationär über dem östlichen Alpenraum. So konnte sich lang anhaltender und starker Dauerregen, teils auch gewittriger Starkregen einstellen, welche von den verschiedenartigen Vorhersagemodellen recht gut erfasst wurde. Erfahrungsgemäß zeigen die Modelle im Endeffekt jedoch zu wenig Niederschlag an und so mussten dann die Erfahrungswerte der Meteorologen mit einfließen in die Vorhersage für den Alpenraum.
Im Alpennordstau unterschätzen die Modelle die Niederschlagsausbeute nicht selten, daher haben sich die Meteorologen der Unwetterzentrale Deutschland und Österreich über die Modelle hinweggesetzt und wesentlich höhere Regensummen prognostiziert, was sich im Endeffekt als sehr richtig herausgestellt hat. Dies zeigt einmal mehr, dass bei der Wettervorhersage nicht nur auf Computersimulationen vertraut wird, sondern die meteorologische Erfahrung und das so genannte "Bauchgefühl" gehören einfach zu einer logischen Wettervorhersage dazu. Vor allem dann, wenn es um Leib und Leben, um Katastrophenausmaße durch mögliche Unwetter geht.
Niederschlagsvorhersage nach dem Modell NMM22
Im 6stündigen Zeitraum vom 10.07.2005, 18 UTC bis zum 11.07.2005, 00 UTC sollten im Alpenraum verbreitet 10 bis 20 Liter Regen pro Quadratmeter niedergehen, lokal auch über 20 Liter.
Am 11.07.2005 zwischen 00 und 06 UTC sollten nach Berechnungen des 22 km-Gitter-Modells verbreitet weitere 10 bis 18 Liter Regen pro Quadratmeter zusammenkommen.
Zwischen 06 und 12 UTC sollten erneut 10 bis 18 Liter Regen pro Quadratmeter erreicht werden. Zusammengerechnet ergibt das eine Gesamtniederschlagsmenge aus dem Modell heraus von verbreitet 30 bis gebietsweise 56 Liter pro Quadratmeter in einem Zeitraum von rund 18 Stunden.
Verlauf des Ereignisses
Es wurden immer wieder kräftige Regengebiete von Norden und Nordosten gegen die Alpen gedrückt und dadurch regnete gebietsweise anhaltend, zum Teil gewittrig und sehr ergiebig. An der Wetterstation St. Bartholomä im Berchtesgadener Land sind im 24stündigen Zeitraum vom 10.07.2005, 12 UTC bis zum 11.07.2005, 12 UTC 113 Liter Regen pro Quadratmeter gemessen worden. In 48 Stunden vom 10.07.2005, 6 UTC bis zum 12.07.2005, 6 UTC kamen folgende Mengen zusammen, wie auch die Niederschlagssummenkarte aus dem Benutzerzugang der Unwetterzentrale Deutschland veranschaulicht:
- 155,8 Liter/qm - St. Bartholomä (605 m, Bayern)
- 138,3 Liter/qm - Winklmoos-Alm (1180 m, Bayern)
- 136,7 Liter/qm - Spitzingsee (1088 m, Bayern)
- 124,0 Liter/qm - Funtensee-Wolfgang-Gröbel (1601 m, Bayern)
Da die Schneefallgrenze bis über die höchste Lagen hinaus reichte, wurde kein Regen gebunden und ergoss sich so ungebremst in Sturzbächen die Berge hinab (sehen Sie hierzu den Webcam-Mitschnitt von Reit im Winkl weiter unten auf dieser Seite). In Traunstein sowie in österreichischen Bezirken wurde Katastrophenalarm ausgelöst. Besonders die Nebenflüsse der Donau sowie die Alpengebirgsbäche traten über die Ufer und sorgten für chaotische Verhältnisse und Sachschäden in Millionenhöhe. Neben Reit im Winkl und Salzburg sind auch viele andere Orte und Gemeinden in Mitleidenschaft gezogen worden.
Dieses Webcam-Bild vom Kurcafé Reit im Winkl am Mittag, des 11.07.2005 zeigt, wie sich Wasser und Schlamm über eine Straße ergießen. Auch die nachfolgenden beiden Fotos von Benno Stockhauser veranschaulichen die Situation in Reit im Winkl.
Die höchsten Wasserstände
Am 12.07.2005 morgens wurde am Pegel Burghausen an der Salzach ein Wasserstand von 6,67 Meter erreicht. Dies ist hier der dritthöchste jemals gemessene Wasserstand. Hier wurde die Meldestufe drei deutlich überschritten. Die Salzach bei Salzburg erreichte am 12.07.2005 in der Früh mit einem Wasserstand von 6,86 Meter den vierthöchsten Abfluss mit 1340 Kubikmetern pro Sekunde seit Messbeginn 1959. Damals sind 1300 Kubikmeter pro Sekunde erreicht worden. Am 12.07.2005 nachmittags wurden am Pegel Passau (Donau) 7,69 Meter gemessen. Die Alarm- und Meldestufe drei wurde hier nicht erreicht.
Wasserstandsdiagramme vom Hochwassernachrichtendienst Bayern
Die Salzach schwoll sehr schnell an. Dies liegt mit daran, dass sie ein Gebirgsfluss ist. Ein Anstieg von etwa 3,00 Metern binnen eines Tages ist enorm; dies spiegelt aber auch die Höhe und Stärke des Starkregens wider.
Typisch für einen Strom, ist der Verlauf der Donau bei Passau weniger dramatisch, hier ist der Anstieg langsamer verlaufen. Dennoch ist für das Fassungsvermögen des Stromes ein Anstieg dieser Größenordnung nicht minder beachtlich. Zum Glück beruhigte sich die Wetterlage dann rasch und es stellte sich kein flächendeckendes Großereignis an der Donau ein. Das höchste Hochwasser (HHW) bei Passau liegt bei 10,81 Metern, der höchste Schifffahrtswasserstand (HSW) bei 7,80 Metern, die hier knapp unterschritten wurde. Für die Donau war diese Unwetterlage noch zu verkraften, kleinere Bäche und Flüsse waren dagegen schnell überfordert.
Ist diese Hochwasserlage rechtzeitig vorhersagbar gewesen? - Ja.
Das Hochwasser wurde von MeteoGroup bereits drei Tage im Voraus angekündigt, denn die Wettermodelle der verschiedenen Vorhersagezentren deuteten bereits einige Tage vorher kontinuierlich auf dieses Unwetterereignis hin. Für Passau betrug die Vorhersage am 9. und 10.07.2005 für Montag den 12.07.2005, abends: 7,50 bis 8,00 Meter. Ebenfalls wurde hierbei auf die Hochwassergefahr der Donau-Nebenflüsse, insbesondere für Isar, Inn und Salzach hingewiesen. Die Unwetterzentrale Bad Nauheim hatte erstmalig am 10.07.2005 eine Vorwarnung für "Starkregen bis 70 Liter, vereinzelt darüber" herausgegeben. Am 10.07.2005 um 05:29 Uhr erfolgte nach Bestätigung durch neue Modelldaten die Akutwarnung für Starkregen.
Akutwarnung Warnstufe ROT für Starkregen
ausgegeben am 10.07.2005 um 05:29 Uhr
gültig von 10.07.2005, 06:00 Uhr bis 12.07.2005, 02:30 Uhr
"Im Bereich eines Höhentiefs mit Zentrum über dem Balkan werden immer wieder kräftige Regengebiete von Norden und Nordosten gegen die Alpen gelenkt. Dadurch regnet es teils anhaltend und stark, teils aber auch schauerartig und gewittrig durchsetzt. Innerhalb eines etwa 24- bis 36-stündigen Zeitraumes ist mit Regensummen von 50 bis 70 Litern pro Quadratmeter zu rechnen, im unmittelbaren Alpennordstau stellenweise auch über 80 l/qm. - uwz/aw"
Auch in den MeteoGroup-Wetterberichten der ARD um 19:50 Uhr und nach den Tagesthemen sowie bei RTL ist frühzeitig auf die Hochwassergefahr hingewiesen worden. Der erste Lagebericht des Hochwassernachrichtendienstes Bayern wurde am Montag 11.07.2005 gegen 10 Uhr ausgegeben.
Diese Analyse wurde von Andreas Wagner und Stefan Laps, Meteorologen der Unwetterzentrale Deutschland, im Juli 2005 erstellt.
Quelle der Messwerte: Auswahl Messnetze MeteoGroup, DWD
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